Thompson gab ein Konzert in Wien. Ich war dort. Über propagierte Heimatliebe und ein gläubiges Kroatien.
Die Halle ist voll und das Rauchverbot scheinbar aufgehoben. Rechts von mir steht eine Ansammlung junger Männer in Militärjacken. Das kroatische Wappen wird auf den Hintergund der Bühne projiziert. Thompson betritt den Saal. Eine Woge der Begeisterung erfüllt den Raum. Es wird gejubelt.
Marko Perković ist Frontman der Band Thompson, verheiratet, Vater von fünf Kindern und ein Neofaschist – so sehen ihn zumindest die meisten europäischen Medien, welche ihn beschuldigen, rechtsextremes Gedankengut und übertriebene Heimatliebe zu fördern.
Der Großteil der Bevölkerung Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas sieht das anders: In seinen Liedern geht es nicht um Verhetzung. Eher geben sie Möglichkeit zur Identifikation mit Werten und der Aufarbeitung von Erinnerungen.
Thompson wurde vom unbekannten Soldaten zu einem gefeierten Musiker. Mit den Jahren seiner wachsenden Popularität ist er eine Art Symbol für KroatInnen geworden, welche Werte wie Glaube, Familie und Heimatliebe glorifizieren und die für ein konservatives und katholisches Leben stehen.
Ljubav prema našem bogu – Die Liebe zu unserem Gott
Als ich erfuhr, dass Thompson in der Pyramide Vösendorf ein Konzert gibt, schloss ich mich kurzerhand meinen Cousinen an. Ich hielt medial verbreitete Aussagen über ihn als schlichtweg übertrieben. ÖsterreicherInnen verstehen eben nichts vom Stolz der kroatischen Nation auf ihr Land. Doch auch familienintern hagelte es Vorwürfe.
Doch woher kenne ich denn alle Lieder auswendig? Auf allen Hochzeiten, auf Feiern und bei Sportevents – Thompsons Lieder und Texte kennt jeder. Und jeder singt sie voller Inbrunst mit. Über die Schönheit Kroatiens, über die Liebe Gottes, über die Wichtigkeit der Familie und Freundschaft. Seit meinen Kindestagen sind mir seine Melodien bekannt; beginnen die ersten Takte von „Lijepa li si“ geht mir das Herz auf.
Doch die Texte, welche ich als Kind nicht begriffen hatte und gedankenlos vor mich hinsang, machen für mich erst jetzt Sinn. Denn Thompson singt nicht nur über ein stolzes Kroatien, sondern auch über ein feindliches Serbien. Ein Serbien, auf welches man Bomben werfen und dessen Bevölkerung man vertreiben sollte.
Ljubav prema našoj domovini – Die Liebe zu unserer Heimat
„Tuče thompson, kalašnjikov a i zbrojevka, baci bombu, goni bandu preko izvora.“ Die Menge brüllt mit: „Čujte srpski dobrovoljci, bando četnici, stići ce vas naša ruka i u Srbiji!“ Auf einmal wird mir bewusst, dass sogar die vielen Kinder, die neben ihren Eltern in der Konzerthalle stehen, von Kalaschnikows und Bomben, die man über die Grenze werfen sollte, singen. Dass die Rache der Kroaten die Feinde auch in Serbien erreichen wird. Ich fange an, mich unwohl zu fühlen.
Der Jugoslawienkrieg prägt die KroatInnen – bis heute. Es war ein Krieg bei dem Nationalstolz, Fremdenhass und religiöser Fanatismus viele Opfer forderte. Ein Problem, welches unsere Großeltern und Eltern hatten, schleppen wir bis heute mit – der ewige Groll zwischen SerbInnen und KroatInnen. Selbst Jugendliche zweiter Generation mit Migrationshintergrund hier in Österreich tragen den Ballast ihrer Vorfahren mit sich herum.
Die Leute erheben ihre Hand und schreien etwas, ich verstehe sie nicht. Fragend schaue ich zu meiner Cousine, als sie antworten will erkenne ich die Worte selber: Za dom – spremni.
Thompsons Lieder aus den 90ern geraten einfach nicht in Vergessenheit. Wie auch – der Hass auf ein anderes Volk wird seit Generationen weitergegeben. Seine Alben nach dem Krieg sind bei weitem nicht so patriotisch wie die davor. Doch es sind Lieder, die jeder Erwachsene und jedes Kind kennt; Lieder, in denen er von Brüdern und Kroaten singt. Von einem Volk, dass sich verbünden und verteidigen muss. Jene Lieder, die den kroatischen Faschismus im zweiten Weltkrieg verherrlichen. Durch die er Verbindungen zur Ustaša schafft.
Kroatische Flaggen werden durch das Publikum gereicht. Ich sehe mir die Menschen um mich herum genauer an. Es sind nicht nur jungen Männer neben mir, die in schwarz gekleidet sind. Fast alle um mich herum sind es. Dann bemerke ich das Symbol auf den Schirmkappen der Männer – das kroatische Wappen in einer Handgranate, umkreist von einem U. Obwohl mich niemand beachtet, fühle ich mich bedroht, als ich das Ustaša Emblem erkenne.
Marko Perković erreichte während eines Krieges an Bekanntheit, als Menschen keine Heimat hatten. Er arbeitet auf seine Weise auf, was viele beschäftigt, nimmt Bezug auf die kroatische Bevölkerung, die in Bosnien-Herzegowina lebt. Dem Nationalismus und dem Hass soll er heute den Rücken zugekehrt haben – dem katholischen Glauben hingegen blieb er immer treu.
Es wird ruhig, die Feuerzeuge gehen an. Sanfte Gitarrenklänge im Hintergrund. Perković neigt den Kopf: „Oče naš, koji jesi na nebesima,..“ Die Menge antwortet, die Hände gen Himmel. Angetrunkenen Jugendlichen, Kinder und faltige SeniorInnen – gemeinsam beten sie ein Vater Unser. Ich muss schmunzeln über das katholische Kroatien.
Ljubav prema našoj obitelji – Die Liebe zu unserer Familie
So ganz kann ich Thompson die Show dennoch nicht abkaufen. Ich versuche, die kroatischen und vor allem bosnisch-kroatischen Fans zu verstehen. Versuche zu begreifen wie sich meine Generation mit der Verhetzung und dem Hass, der den alten Liedern innewohnt, identifizieren kann. Doch dann erwische ich mich im Alltag dabei, die Melodien zu summen. Ich bin emotional mit dem nationalistisch- musikalischen Gut verbunden, es ist ein Teil meiner Sozialisierung. Es sind Texte, die mich seit frühester Erinnerung begleiten und Geschichten von Eltern und Großeltern, die unsere ausgewanderte Generation beeinflussen.
Ich kann nur dankbar dafür sein, dass ich Werte wie Familie und Glaube für essentiell halte, jedoch mit Ausgrenzung, Vertreibung oder sinnlosem Serbenhass nichts am Hut habe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in meiner Familie erfahren habe, dass Toleranz und Freundschaft wichtiger sind als die Herkunft eines Menschen.
Ich verlasse das Konzert mit einem, das muss ich ehrlich sagen, unbegründeten Gefühl der Bedrohung. Doch dieses legt sich wie ein nationalistischer Schatten über den Abend. Es war mein erstes und letztes Thompson Konzert.