Und Tschüss!

Für das Blank Magazin haben Camilla Annabith und ich einen jungen Mann porträtiert, der die Welt ein Stück besser macht.

Vor knapp einem Jahr kündigte Paul H. seinen Job, packte einen Rucksack und brach nach Holland auf, um in See zu stechen. Doch darf man alles einfach so zurücklassen? Das Porträt eines Menschen, der sein Glück im Gehen findet.

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(c) Camilla Annabith

Irgendwo vor der Küste Frankreichs treibt ein Segelschiff auf dem offenen Meer. „Nordlys“, zu Deutsch „Nordlicht“, heißt die 143 Jahre alte Schönheit, die nach einem Zusammenstoß mit einem anderen Schiff beschädigt wurde. Nach zweimonatigen Reparaturarbeiten stach sie im Spätherbst vergangenen Jahres Richtung England in See. Unter der Crew befindet sich ein junger Mann aus Graz, der im September 2014 seine Heimat hinter sich ließ, um es etlichen Helden aus der Geschichte gleichzutun und auf hoher See sein Glück zu versuchen.

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Es ist nicht so als wäre er mit seinem alten Leben unglücklich gewesen, wie er heute selbst sagt. Ein harmonisches Verhältnis zu seiner Familie, ein großer Freundeskreis, soziale Tätigkeiten bei Umweltorganisationen, ein ‚anständiger‘ Job – sein Leben schien erfüllt. Und dennoch wandte er sich davon ab.

Obwohl das Leben in Graz spannend und abwechslungsreich war, war es ihm nicht genug. „Die Sehnsucht nach Lernen, Erleben, Verstehen ist wohl das, was mich umherstreunen lässt“ vermutet Paul. Sein jetziges Leben findet der 25-Jährige nicht besser als jenes, dass er damals zurückließ. Es sei lediglich anders. Anders und neu.

Mit der Kraft des Windes

Langsam aber stetig legt die „Nordlys“ ihren Weg nach England zurück. Vollkommen abhängig von den Windverhältnissen zählt das Schiff zu jenen umweltfreundlichen Transportmitteln, die nicht einmal für den Notfall einen Motor an Bord haben. Im Winter sind die Temperaturen eisig, warm wird es unter Deck aber ohnehin. Aus Platzgründen sind die acht Crewmitglieder dort auf 15 Quadratmeter zusammengepfercht und kommen dennoch miteinander zurecht. Sie schlafen in schmalen, übereinander hängenden Kojen und wechseln sich alle paar Stunden ab, um den Einsatz an Deck zu übernehmen.

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Für sein Umfeld kam Pauls Aufbruch nach Holland wenig überraschend. Schon seit er 18 war, gondelte der Grazer in der Weltgeschichte umher. Seine erste große Reise führte ihn nach Südamerika, ohne ein Wort der jeweiligen Landessprachen zu beherrschen. Seitdem hat er über 30 Länder auf sechs Kontinenten bereist. 2011 hielt er sich über ein Jahr in Indien auf, wo er in den Ausläufern des Himalayas ein Umweltprojekt der tibetischen Exilregierung unterstützte.

Nicht zuletzt aus dieser sozialen Erfahrung, sowie auch aus seinen Tätigkeiten in Graz heraus entsprang der Wunsch, Teil der „Tres-Hombres“-Crew zu werden. Diese transportiert auf umweltfreundliche Art fair gehandelte Güter wie Rum, Olivenöl und Wein nach Europa. Mit der Kraft des Windes als einzigen Treibstoff ist vor allem Geduld gefragt – die Vollendung der Karibikroute etwa, kostet das Fairtransport-Schiff ganze fünf Monate.

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Die Crew zeigt mit ihrem Einsatz eine Alternative zum globalen System der Frachtschifffahrt auf, das laut dem „Tres-Hombres“-Team zu den größten Umweltsündern überhaupt gehört. „16 große Containerschiffe zusammengenommen erzeugen ungefähr so viel Schwefeloxid wie der gesamte Autoverkehr der Welt“, beruft Paul sich auf einen Bericht der UN, „wir versuchen mit den fair transportierten Gütern aktiv unser System zu verbessern“.

Auf der ganzen Welt daheim

„Kriechst du morgens aus der Koje“, beschreibt Paul, „kann dich alles erwarten. Riskante Manöver im Sturm, traumhaftes Segeln mit Delphinen, das tiefschwarze Meer der Nacht im Zusammenspiel mit fluoreszierendem Plankton. Es überrascht dich jeden Tag aufs Neue.“

Für Paul kann jeder Ort auf dieser Welt zu einem besonderen werden. Man dürfe überall ein Zuhause haben. Denn wirklich wichtig sind seiner Meinung nach die Menschen um einen herum. Und dass man das, was man tut, auch gerne macht. „Die Arbeit in Graz hat mich zu sehr angekettet, eingegrenzt“, erinnert sich der Seemann heute. Seine Tage am Meer sind abwechslungsreich, eigentlich kennt er so etwas wie Alltag gar nicht mehr.

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(c) Camilla Annabith

Manchmal, da erinnert sich der leidenschaftliche Segler jedoch auch an Zuhause. An die Familie und die Freunde, die er zurückgelassen hat. Auch wenn seine Eltern respektieren, dass er seine Rastlosigkeit ausleben muss, fällt ein solcher Abschied nicht leicht. Auf See ist Kontakthalten schwierig, aber auch im Hafen hört seine Familie nur einmal die Woche etwas von ihm. Dort und da ein Facebook-Post – mehr nicht. Ständigen Kontakt zu seinen Freunden will er gar nicht halten, denn das nähme ihm die Romantik beim Denken an die Liebsten zuhause. Ob und wie er mit einer Rückkehr in sein altes Leben umgehen würde, darüber denkt er nicht nach.

Gegen jede Erwartung

Wenn der Winter kommt, wird es kalt, die See wird rau. Segelschiffe bleiben lieber im Hafen, oder sind im warmen Süden. Und dann ist da ein Schiff, das gen Norden startet. Zwei Monate lag die „Nordlys“ im französischen Hafen von Douarnenez, nachdem ein Fischkutter die hölzerne Schönheit gerammt hatte. Die Mitglieder arbeiteten acht Wochen mit aller Kraft an der Seetauglichkeit. Nun ist sie wieder in See, auf dem Weg nach England. Wie lange sie dafür brauchen wird, weiß nur der Wind.

Die Frage nach dem Dürfen hat sich Paul nie gestellt. Erwartungen, die die Gesellschaft an ihn richtet, sind nicht das, was er erfüllen möchte. Um sein Glück zu finden, müsse man sich eben manchmal dem widersetzen, was Familie oder Staat von einem erwarten.

Man dürfe nicht nur gehen, man sollte es sogar – vor allem, wenn man etwas verändern will, sagt er: „Ich hätte eher ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Zeit und Energie nicht dafür verwenden würde, die Welt ein Stück besser zu machen.“ Deshalb versucht er, auch andere Menschen zum Gehen zu bewegen. Er ist sicher, dass die Gesellschaft sich viel Engstirnigkeit ersparen könnte, wenn jeder seinen Horizont mit fremden Ländern und neuen Kulturen erweitern würde.

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(c) Camilla Annabith

Zu Beginn war es für ihn nicht immer einfach. Durch die enge Umgebung und das ständige Schaukeln am Schiff litt Paul lange unter Schlaflosigkeit. Dazu kamen der Schock und die Enttäuschung, als die „Nordlys“ gerammt wurde. Die langen Reparaturarbeiten stellten seine Geduld auf die Probe. „Aber da muss man eben durch, der erste Schritt ist immer schwer“, meint er, „egal, ob man alleine aufbricht, um einen Berg zu besteigen, oder sich für unbestimmte Zeit in ein anderes Land wagt. Oder eben auf ein Segelschiff.“

Viel Mut bräuchte man laut Paul nicht, um aufzubrechen. Aber Neugierde. Und Sehnsucht nach dem, was da draußen steckt. „Menschen sollten glücklicher sein mit dem, was sie finden, anstatt ständig nach etwas zu suchen“, meint er. Dass er keinerlei Plan für seine Zukunft hat, alles offen ist, scheint er zu genießen. Eine Angst vor der Rückkehr in den Alltag in Graz kennt er nicht, obwohl er dort – außer sozialen Kontakten – alle Zelte abgebrochen hat.

Bei all der Schwärmerei vom Leben auf See gibt der Ausreißer aber auch zu, dass es viel schwerer gewesen wäre zu gehen, ohne das Bewusstsein, dass es einen Platz gibt, an den man immer zurückkommen kann.

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