Auntie, Auntie Bedchange. Die Abschlussworte eines jeden Arbeitstages in der Toddlerschool im Motherhouse fordern zum Bettwäsche wechseln auf. Knapp 50 Betten bei denen die Decken gewechselt und die Moskitonetze aufgehängt werden. Eine langweilige Arbeit. Ganz im Gegensatz zu der mit den wundervollen Kindern die im Waisenhaus leben.
Im Shishu Bhavan in der AJC Bose Road, gleich neben dem Mutterhaus, leben 120 Kinder. Manche von ihnen sind Babies, manche beeinträchtigt, manche sind sehr krank. Sie alle wurden von ihren Eltern im Waisenhaus der Missionarinnen der Nächstenliebe abgegeben. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Sister Jane ist die Oberschwester hier im Haus, seit 1999 kümmert sie sich um alles was im Shishu Bhavan geschieht. Sie ist in Deutschland aufgewachsen, doch während ich mich mit ihr unterhalte wechselt sie immer wieder ins Englische. Hindi spricht sie mittlerweile fließend.
Sie erzählt mir von jungen Mädchen, die ihre Babies hier gebären und danach sofort wieder in ihr Dorf zurückkehren – ein uneheliches Kind könnte tödliche Folgen für sie haben. Von Eltern, die auf der Straße leben und die sich die nötigen Operationen für ihre Kinder nicht leisten können, aber auch von Säuglingen, die die Schwestern manchmal zurückgelassen hinter Müllcontainern finden. Manche Eltern lassen ihre Kinder nur für ein paar Monate her und holen sie danach wieder ab. Die meisten Kinder bleiben jedoch länger hier. Jene mit schwereren Behinderungen ein Leben lang. Die anderen hoffen auf eine Adoption. Meistens sind es Ausländer, die sich der Kinder annehmen.
An meinem ersten Arbeitstag kommt zu Beginn ein wenig Angst hoch. Es gibt keine richtige Arbeitseinführung oder Regeln die einem erklärt werden. Auf ins Getümmel ist die Devise. Ich betrete die einfachen Räumlichkeiten und bekomme einfach ein Kind in die Arme gedrückt, welches ganz und gar nicht ruhig bleiben will. Die Kleinkinder scheinen ein ganz anderes Kaliber zu sein, als meine pubertierenden Jugendlichen im Jugendzentrum. Ganz abgesehen davon, dass die meisten von ihnen Kinder mit besonderen Bedürfnissen sind. Yoshi hat Geschirrtücher um die Hände – damit er sich nicht mehr die Ohren blutig kratzt, die sorgfältig mit Pflastern verklebt sind. Prince leidet am Down Syndrom. Jaya starrt in die Luft, in ihrem Kopf spielt sich eine andere Realität ab. Bashantis Kopf und Hände zucken unkontrolliert. Sahil kann nicht richtg gehen. Viele von ihnen tragen dicke Brillengläser und Hörgeräte.
Um acht beginnt der Dienst der Freiwilligen. Die Betreuerinnen sitzen am Boden und beten Rosenkranz, die Kinder im Arm haltend. Oder zumindest versuchen sie es. Die meisten Kids turnen herum, lachen oder weinen. Nach einem gemeinsamen Halleluja teilt sich die Masse in die Flower, Rabbit und Bird Group. Ich bin in Miss Rosemarys Klasse, der Flower Group. Gemeinsam mit einer Chinesin, deren Namen ich mir noch immer nicht merke, kümmern wir uns um acht Kinder. Drei Betreuerinnen, acht Kinder. Welch Luxus, dachte ich zu Beginn. Aber nein. Eher könnten wir noch mehr Unterstützung gebrauchen. Die Arbeit ist anstrengend.
Wir singen Lieder, lernen die Farben und Tiere auf Englisch, malen und formen Dinge aus Plastilin. Doch oft will Anisha nicht singen und fängt an zu Brüllen oder beißt ihre Nachbarin. Potful langweilt sich und läuft konstant mit dem Kopf gegen die Wand. Wortwörtlich. Puja will das Plastilin lieber essen und Bashanti macht sich ständig in die Hose. Es ist keine leichte Arbeit. Und dennoch gibt es nicht Schöneres als eine Jaya zum Lachen zu bringen und zu wissen, dass sie endlich in unserer Wirklichkeit angekommen ist. Es ist das wundervollste, Ajushs Arme um den eigenen Hals zu spüren und zu merken, dass er sich geliebt fühlt. Am zweiten Tag schon strahlen sie mich an, als ich den Vorraum betrete – Auntie, Auntie – ich soll mich zu ihnen setzen und habe schon fünf Kinder am Schürzenzipfel (ja, wir müssen alle eine Schürze tragen) die trotz der wahnsinnigen Hitze kuscheln wollen.
Unter den Begriffen Klasse und Unterricht habe ich mir definitiv etwas anderes vorgestellt, als es letztendlich war. Aber es hätte nicht schöner sein können. Zwar hab ich keinem Kind wirklich Englisch beigebracht, aber ich konnte ihnen Alle meine Entchen und Sve pticice iz gore vorsingen und vor allem denjenigen Wertschätzung und Aufmerksamkeit geben, die es am Nötigsten haben. Die Kinder brauchen hier brauchen nicht zwingend Spielsachen oder Buntstifte – sie brauchen jemanden, der ihnen zeigt, dass sie nicht alleine sind und für sie da ist. Sie in den Arm nimmt wenn sie weinen und lächelt wenn sie einen anstrahlen.
So verbrachte ich also die letzten Tage mit einem Wecker frühmorgens, einem halbstündigen Spaziergang zum Motherhouse, einem wundervollen Vormittag mit den Kindern und einem verschwitzen Touristennachmittag mit Mara und Vanessa.
Abgesehen von generellen Strukturen im Haus, die mir manchmal etwas zuwider waren, war es eine wundervolle Woche. Sie hätte länger dauern können. Das Gefühl mit dem ich das Haus heute verlasse lässt meine Augen wässrig werden. Ich bin mir sicher ich komme wieder.
Ein Gedanke zu “Über Waisenkinder und die Liebe”